Bei alten Goldrahmen und sonstigen vergoldeten Gegenständen kann man häufig die Beobachtung machen, dass gewisse Partien und stellen derselben mehr oder minder rot schimmernd, ja ganz rot geworden sind, indes der übrige rahmen noch die ursprüngliche bekannte Goldfarbe resp. Vergoldung zeigt.,Bei näherem Zusehen findet man dann, dass jene roten oder rotschimmernden Stellen entweder durch Polierung glanzvergoldete Rundstäbe, cartouchenartige Abgrenzungen oder sonstige Ornamente gewesen, welche der Berührung oder Abreibung (Abnützung) besonders ausgesetzt waren. Bei grösseren Rahmen kommt es beispielsweise dabei sogar vor, dass die an den unteren, der Berührung zugänglicheren und davon (etwa beim Abstauben und Säubern) mehr betroffenen Stellen und Teile rotschimmernd, ja Stellen ganz von Gold entblösst sind und selbst die unter dem roten Bolusgrunde liegende weisse Kreidegrundierung sehen lassen, während die analogen Partien und Ornamente an dem oberen, d. h. in der Höhe befindlichen, weniger zugänglichen Rahmenteile, ihre alte Vergoldung vollkommen erhalten haben, sie ganz intakt zeigen.,Gewiss, sollte man nun meinen, wird Niemand, der unbefangen zu beobachten imstande ist, hier davon sprechen wollen, dass an den bemerkten Stellen der unterliegende Bolusgrund durch eine art "Zersetzung" das Gold der Vergoldung verschwinden gemacht oder sonstwie zerstört habe, d. h. also, "durchgewachsen" sei, sondern es ist handgreiflich und unbedingt evident, dass nur die Abreibung, die öfter (im Laufe der Jahre) wiederholte, wenn auch noch so leichte, doch immer mit einiger Reibung verbundene Berührung beim Abstauben und sonstigem Säubern die ja ohnehin sehr dünne Goldschicht allmählig weggenommen und verschwinden gemacht habe. Dass dieses richtig und allein thatsächlich sei, bestätigt die weiters leicht zu machende Beobachtung, dass diejenigen Stellen, an denen infolge des successiven Auflegens der Goldblättchen beim Vergolden das Gold zufällig in kleinen Streifen doppelt aufeinander zu liegen kam, diese ihre Vergoldung, soweit eben die Blättchen doppelt übereinander zu liegen kamen, meist erhalten zeigen, da - begreiflich!- die stärkere Deckung (doppelte Goldlage) der einwirkung des Abreibens stärker und länger widerstand. ,Trotz der Einfachheit dieser Beobachtung und ihrer Erklärung und trotzdem sie hundertfältig gemacht werden kann, muss man es doch hören, dass bei solchen (rotschimmernden) Stellen an Vergoldungen die Erscheinung damit erklärt wird, "der Bolusgrund sei durchgewachsen".,Bei Gemälden (Ölbildern) begegnet man bekanntlich nicht selten einer filmlichen Erscheinung. Ein Bild zeig beispielsweise rotschimmernde Stellen, Änderung der ursprünglichen Farbe, und zum Teile kommt selbst der unterliegende rote oder rotbraune Bolusgrund (auf den das Bild gemalt ist) direkt zum Vorschein. Und nun spricht und schreibt man in allen Tonarten zur Erklärung auch dieser Erscheinung wieder von einem "durchwachsen des Bolusgrundes".,"Der bolus ist durchgewachsen", ist die landläufige Redensart der Fachmänner und Nicht-fachmänner!,Mit dieser Phrase verband man die Idee, dass der unterliegende Bolus der Grundierung die Farbe (wie bei dem Rahmen das Gold!) gleichsam aktiv angegriffen, sie, wie man geschrieben hat, zersetzt und aufgezehrt habe - freilicht wohl, ohne dass man sich über dieses Aufzehren und Zersetzen irgen welche klare und präzise Vorstellung gemacht und sich darum gekümmert hätte, worin, in welchem Prozesse, in welchem chemischen oder physikalischen Vorgange dieses "Durchwachsen" des Bolusgrundes eigentlich bestehen sollte.,Das ein chemischer Prozess dabei aber nicht Platz greife und nicht Platz greifen könne, hier so wenig als er dort bei den Vergoludngen stattfinde, dass der in dieser Richtung ebenso neutrale Bolus (eine Thoneisenverbindung) ganz unfähig sei, eine chemische Verbindung mit den Stoffen der darübergelagerten Farben, Bindemittel und Pigmente, einzugehen, konnte jeder einigermassen erfahrene Chemiker belehren, und hat denn auch Herr A. keim, Herausgeber der "Technischen Mitteilungen für Malerei", gelegentlich der Reproduktion einer solchen Auseinandersetzung nicht unterlassen, seine Bemerkung in unserem sinn in zutreffendster Weise (in einer Nota) zu machen.,Dafür aber, dass in der that kein innerer (chemischer) Vorgang, sondern etwas anderes der Grund des stellen weisen Verschwindens der Farbe und des Hervorkommens des Bolusgrundes bei Ölgemälden sei, dass insonderheit absolut keine Wirkung der Grundierung stattfinde und vorliege, spricht auch noch ganz schlagend eine bisher nicht beachtete Thatsache.,Betrachtet man nämlich diejenigen Stellen und beziehungsgeweise Randstreifen an einem solches Hervorkommen des Bolusgrundes d. h. "Durchwachsung" zeigenden Bilde, welche vom Rahmen regelmässig gedeckt und dadurch folglich den Angriffen der Berührung und mechanischen Reibung und dem Waschen nicht oder viel weniger ausgesetzt waren als die übrigen Bildflächen, so zeigt sich auffällig genug in den allermeisten Fällen dass hier die ursprüngliche Farbe keine oder ungleich weniger Änderung, Verlust an Masse erlitten; also keine oder nur geringe solche "Durchwachsung" stattgefunden habe und dass, obgleich, unmittelbar daneben und bis zum deckenden Rahmenrande "Durchwachsungen" sichtbar sind, diese nicht bestehen, soweit der Rahmen die Randpartien des bildes schützte.,Diese Thatsache lässt offenbar gar keine andere Deutung zu, als dass die freien Flächen eine Einwirkung erlitten haben, der die gedeckten Stellen nicht ausgesetzt waren; aber entschieden keine chemische, da ein chemischer Prozess vor den Dockung des Rahmens nicht stillgestanden wäre, sondern sich unmittelbar auch auf die gedeckten Teile erstreckt hätte.,Es bleiben somit zur Erklärung des Durchkommens des roten Bolusgrundes nur andere, nämlich mechanisch-physikalische Umstände und Einflüsse zulässig.,Was diese betrift, so haben wir der rein mechanischen Einwirkung durch das Astauben, Säubern und das Waschens schon gedacht; hieru tritt noch ein farbentechnisches Verhältnis in Wirksamkeit.,Wir meinen damit jene Änderung, welche die Farbe dadurch mit der Zeit erfährt, dass sie u einem Teile ihre anfängliche Deckkraft verliert, dass sie auf ein geringeres Volumen zurück- oder eingeht und bei entsprechen dünnem Aufgrag dann häufig den unterliegenden Grund, Untermalungen und Unterzeichnungen etc. etc. zum Vorschein kommen lässt, die bei der Fertigstellung des Bildes nicht mehr sichtbar waren und in jener epoche vollkommen gedeckt schienen.,Es ist eine Erfahrung, die jeder ausübende Künstler und Farbentechniker kennt und weiss, dass die Unterlage bei nicht sehr gut überdeckten Stellen oft schon in relativ kurzer Zeit wieder sichtbar wird.,Die Erscheinung der sogenannten Pentimenti beruht bekanntlich auf nicht anderem, als eben auf der Thatsache, dass die durch und mit der zeit verminderte Deckkraft und das Zurückgehen der Farben in ihrer Körperlichkeit in der Folge manche vom Künstler geänderte, übermalte und vollständig gedeckt geglaubte Formen und Farben wieder zum Vorschein kommen lässt.,Man fuhrt häufig niederdeutsche (alte) Bilder als Beweis für die Vorzüglichkeit eines weissen Kreidegrundes an (gegenüber dem roten "durchwachsenden" Bolusgrund) und schreibt ihre oft so vortreffliche Erhaltung dieser ihrer Grundierung zu.,Diese gute und bessere Erhaltung solcher Bilder beweist aber nur, dass jene alten Bilder mit ungleich grösserer Sorgfalt, mit genauer Verzeichnung und regelmässig vollständiger Ausführung in grauem oder auch sonstigem Farbtone, worauf dann erst die eigentliche Farbe aufgetragen wurde, hergestellt sind. Der weisse Kreidegrund ist an der besseren Erhaltung so wenig schuld, als der rote Bolusgrund später an dem "durchwachsen" war; beide verhalten sich zur daraufgelegten Farbe völlig passiv.,Kreide und Bolus können in der besprochenen Richtung nur in derselben Weise wirken und resp. nicht wirken bezüglich der aufliegenden Farbe; verschieden wirkten sie allerdings in einer anderen Richtung.,Als im 17. Jahrhundert nämlich die rotbraune Bolusgrundierung so viel angewandt wurde, bewegten sich die Künstler in vieler Beziehung leichter und freier, indem sie häufig den Grund nur dünn und teilweise deckten. Die Farbmasse war bei diesem dünneren Auftrag eine geringere schon an sich, die mit der Zeit eintretende und fortschreitende Volumenverminderung der Farbe trat hinzu und so kam es denn vom selbst und ist erklärlich, dass bei dann auch nachlassender Deckkraft häufig der Grund sichtbar wurde.,Es erklärt sich hiermit auch, dass seit der allgemeinen Handhabung dieser dünneren und flüchtigeren Malweise und Technik weit mehr jener sogenannten pentimenti beobachtet werden und dass das durchkommen des unterliegenden Grundes eine Erscheinung ist, die mit der schwächeren Deckung parallel läuft; - hier ganz abzusehen davon, dass die späteren Bilder häufig auch nicht mehr mit jener Sorfgalt bewahrt wurden, wie jene älteren Gemälde, denen man vom anfange schon einen höheren Wert belegte - schon ihres meist religiösen Inhaltes wegen.,In dem Zusammenwirken nun der beiden eben erörteten Momente der allmählichen Abreibung und des Zurückgehens der Farbe (des Verlustes der Deckkraft), ist die Ursache der Erscheinung des Durchkommens des roten Bolusgrundes zu suchen, nicht aber in irgend welcher Zersetzung der daraufgebrachten Farbe.,Mit dieser unserer Überzeugung stehen wir übrigens nicht allein und haben sie auch nicht zuerst und vor allen Anderen gewonnen.,Schon vor fünfzig Jahren hat der bekannte, berümte Kunstkenner und Kunstschriftsteller Dr. G. Waagen sie gehabt und seiner ihm offenbar ganz selbstverständlichen Anschauung des "Durchwachsens" des Bolusgrundes nicht miszuverstehenden Ausdruck gegeben. So schreibt derselbe z. B. in seinem Werke: "Kunstwerke und Künstler in Paris", pag. 641, indem er von N. Poussin spricht: "Leider sind viele seiner schönsten, auf Bolusgrund gemalten Bilder infolge eines zu geringen Impasto's braun und damit haltlos geworden", und wieder pag. 642: "Bei folgenden bildern deute ein schwaches Impasto und dadurch veranlasstes Durchwachsen des Bolusgrundes auf die frühere Zeit seinies Aufenthaltes in Rom". ,Ebenso sagt er schon pag. 639 von den französischen Bildern jener Zeit ganz allgemein: "Endlich war der Votrag insoferne mangelhaft, als es ihm häufig an dem gehörigen Impasto fehlte, so dass der braune Grund, worauf in der Regel gemalt wurde, durchgewachsen und dadurch die Farbenharmonie aufgehoben ist". ,Und umgekehrt bemerkt Waagen pag. 646 bezüglich des berümten Poussin'schen Bildes Nr. 226, dass "die gleichmässige erhaltung aller Farben durch das sehr solide Impasto den Eindruck des Bildes in allen Teilen harmonisch befriedigend" mache. Diese Stellen zeigen zur Evidenz, dass nach der Anschauung des Genannten lediglich der zu dünne Farbauftrag (nich der Bolusgrund) an dessen "Durchwachsen" schuld sei und dass ein genügend "solides Impasto" das Durchkommen des Bolusgrundes ausschliesse.,Dass Hr. chemiker Keim diese Ansicht teile, haben wir schon oben gelegentlich hervorgehoben.,Umsomehr ist zu bedauern, wenn in einem neueren Werke über Ölmalerei 1) geradezu von der so schädlichen Grundierung (Bolusgrund) geschrieben und der Rat erteilt wird, jedes auf diesen Grund gemalte Bild dadurch zu retten, das man es auf anderen Grund übertrage, "weil die Bilder sonst ihrem sicheren Verderben entgegengehen", womit die falsche Vorstellung, dass der Bolus die Bilder sämtlich und überhaupt geführde und vernichte, bis zu der Konsequenz getrieben ist, dass selbst gut erhaltene Bilder einer wirklichen und nicht geringen Gefahr ausgesetzt werden sollen, um sie vor einer eingebildeten Gefahr zu schützen. Denn jene Übertragung auf neuen Grund bezeichnet der Ratgeber selbst als eine sehr schwierige, die grösste Sorgfalt und Geschicklichkeit erheischende Operation, was schon daraus hervorgeht, dass der Grund von der Farbe (rückseitig durch Schaben) entfernt werden muss.,Und die Gefahr ist umso grösser, je dünner der Farbenauftrag ist, und angeraten wird, die Farbenschicht auf weissen Grund zu übertragen, womit das so be- und respective misshandelte Bild ganz um seine Harmonie und den ihm eigenen Character gebracht werden muss.,Dass schlisslich nämlich auch der weisse Grund, wie der graue, gelbe etc. etc. bei dünn aufgetragener Farbe gleicherweise zum Vorschein komme und insoferne auch seine Wirkung habe und haben müsse, ist nach unserer Ausführung nicht zu bezweifeln und überall zu beobachten, und giebt dieser Umstand im Verhältnis zum übrigen Bestande dem Bilde seiner besonderen und eigenartigen Charakter. es wächst eben hier der weisse oder sonstige Grund "durch" wie dort der Bolus., ,